Wandern, die Lösung?

„Das Wander ist des Müller’s Lust, das Wandern ist des Müller’s Lust“ oder „Mein Vater war ein Wandersmann und mir liegt’s auch im Blut“. Nein? Habe ich auch gedacht und nicht gesungen. Und nicht gewandert. Bin ich doch weder Müller, noch ist mein Vater ein Wandersmann. Und überhaupt, Wandern? Langweilig, zeitaufwändig und hatte ich langweilig schon erwähnt? Trotzdem habe ich mich dem Selbsttest unterzogen und bin an mehreren, aufeinander folgenden Sonntagen Wandern gegangen.

An meinem ersten Sonntag, war ich lässig gekleidet in kurzer Hose, Turnschuhe (Schnürbänder offen in die Schuhe gestopft) T-Shirt und Sonnenbrille. Dank meiner kurzen Haare trug ich ein Basecap, um mich einigermaßen vor einem Sonnenstich zu schützen. Ach ja, meinen Fitnesstracker am Arm und mein Handy in der Hosentasche zogen wir los (ich wurde begleitet von einem erfahrenen Wanderer). Als wir nach 14 km, die 200 Höhenmeter Aufstieg beinhalteten, zurück kamen hatte ich eine Blase am Zeh (falsche Schuhe und nicht geschnürrt) einen Sonnenbrand auf den Armen (Sonnencreme vergessen) und war froh, dass mein Begleiter an etwas zum trinken für mich gedacht hatte (ich wäre verdurstet). Das war es also, das große Wandern? Ich war bedient, fühlte mich aber unter der Dusche wohlig erschöpft und auch ein bisschen stolz. Ich war 14 km gegangen. Und das Bergauf und Bergab.

Am nächsten Sonntag war ich besser vorbereitet. Laufschuhe, fest geschnürrt, ein Rucksack, der neben Trinken auch etwas Nahrung beinhaltete, ein Wanderkarte und wetterfeste Kleidung. Unter der Woche hatte ich mich mit meinem Begleiter zum Thema Wandern ausgetauscht. Es fielen Schlagworte wie Befreiend, Emotionen und Stoffwechsel. „Beim Wandern„, so erklärte mir mein Wanderpartner „wird der Stoffwechsel angeregt. Der Kreislauf kommt in Schwung und durch einen gleichmäßigen (Lauf-)Rhythmus gewöhnt sich der Körper schnell an diese Belastung. Dadurch verbrennen wir Unmengen an Kalorien.“ In der Psychotherapie wird dem Wandern zudem noch zugeschrieben, dass hier Gefühle verarbeitet werden können. Im Wort Emotion steckt das Wort Motion (Bewegung) bereits drin. Man fühlt sich besser durch Bewegung, alte Gefühle werden verarbeitet und man kommt sich selbst näher. Ausserdem hat man endlich Zeit, über sich selbst nachzudenken.
Wir gingen also los, nachdem wir die Karte studiert hatten und unser Ziel klar war. Mehr als 600 Höhenmeter galt es zu überwinden. Anhand des Maßstabes der Karte war uns klar, hier lagen rund 20 km Wanderweg vor uns. Wir entschieden uns für einen Weg mit sanftem Anstieg. Dieser würde länger dauern, war aber natürlich weniger anstrengend. Während unserer Wanderung unterhielten wir uns über die Vergangenheit und über die Zukunft. Nach zwei Stunden Wanderschaft, legte wir die erste Pause ein. Wir tranken Wasser und genoßen die Aussicht. Und schwiegen! Im weiteren Verlauf des Weges, nun ging es langsam aber sicher auf breiten Pfaden steiler Bergauf, wurden unsere Gespräche unbewusst etwas tiefsinniger. Wir sprachen über die Bewältigung von Stress und wie wir uns entschleunigen konnten. Ich stellte an dieser Stelle fest, dass ich während des Marsches langsam innerlich ruhiger wurde und meine Gedanken immer seltener abschweiften. Der Alltag, der lag nun woanders. Wir waren hier, mitten im Schwarzwald umgeben von Bäumen, die so alt waren, wie ich es niemals werden würde. Ich war angekommen, im hier und jetzt.
Unser Wanderziel, dass haben wir an diesem Tag nicht erreicht, aber der Erkenntnis, was das Wandern bewirkt, der war ich näher gekommen.

Der darauffolgende Sonntag, ich war ja jetzt vorbereiteter den je, sollte der Tag werden, an dem wir endlich das Lothardenkmal sehen würden. Wir entschieden uns für eine Route mit steilen Anstiegen, die uns zum Teil über unbefestigte Wege führte. „Wir„, so hob mein Begleiter hervor, „sind ja fit und mittlerweile erfahren!„. Von Anfang an ging es nur Bergauf. Und so sollte es bis zum Ziel bleiben. Wir stapften mit festem, gleichmäßigem Schritt auf den breiten Wegen und genossen alsbald die unberührte Natur auf den schmalen Pfaden abseits. Wir sprachen über Philosophie und den Wert für unsere Gesellschaft aus diesen Theorien. Und ich verstand, warum sich mir die Gedanken, die ich von Kant, Voltaire, Nitzsche und Precht gelesen hatte, nicht erschließen wollten. Ich hatte sie gelesen um zu beeindrucken. Ich hatte sie nicht für mich gelesen, sondern weil ich als belesen gelten wollte. Aber verstanden, oder gar gefühlt, hatte ich sie nicht. Schritt für Schritt kamen wir nicht nur unserem Ziel, sondern auch ich mir selbst näher.
Wir „kletterten“ durch den Urwald des Schwarzwaldes. Einem Teil des ursprünglichen Waldes. Hier ist es das ganze Jahr über kühl und feucht. Die Steine zwischen den Bäumen sind dicht mit Moos bewachsen und wir waren so beeindruckt von diesem Anblick, dass wir vergassen zu fotografieren. Wir stiegen immer höher durch diesen Teil unserer Strecke und erfreuten uns am hier und jetzt. „Wo man gewandert ist, da ist man gewesen!„, erklärte mir mein Begleiter und Freund. Eine kleine Spitzfindigkeit zu den heutigen Fortbewegungsmitteln. Schiller, Goethe und auch die von mir zuvor erwähnten Philosophen sind Zeit ihres Lebens gewandert. Sie hatten unterwegs Zeit über ihre Werke, das Leben und die Natur nachzudenken. Nicht Höher, Schneller, Weiter war ihre Devise, sondern dass der Weg das Ziel ist. Mir ging es nicht anders. Ich verstand, dass Wandern im hier und jetzt passiert. Das mir die Erinnerung an den Weg niemals wieder genommen werde kann und das ich froh war einen neuen Freund gefunden zu haben, der zudem noch meinen Horizont erweiterte.
Wir erreichten das von uns gesteckte Ziel und waren nach 5 Stunden Wanderung und 20 zurückgelegten Kilometern wieder am Startpunkt. Den Ausblick aus 860 Metern Höhe über den gesamten badischen Raum werde ich niemals mehr vergessen. Den Aufstieg zum Lothardenkmal kann ich euch, wenn ihr mal im Schwarzwald seid, nur empfehlen. Egal ob ihr die festen Wege oder wie wir die schmalen Pfade wählt, seid einfach nur dort. Genießt die Natur, den Weg, die Anstrengung und das ihr endlich Zeit habt über euch nachzudenken. Vielleicht kommt auch ihr euch näher.

Mein Fazit zum Wandern, ihr könnt es euch sicherlich schon denken, ist sehr positiv. Ich werde diese Art der Gedankenbewältigung künftig auch in meiner Heimat nutzen. Und wer weiß, vielleicht laufen wir uns mal über den Weg und tauschen uns aus.

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